Beitrag zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 19. November 2013, AZ: 12 Sa 692/13, mit Prognose zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts.
Ausgangslage:
Beschäftigte dürfen gemäß §§ 1, 7 Abs. 1 AGG nicht wegen einer Behinderung benachteiligt werden. Verstößt eine Vereinbarung gegen diese Vorgabe, so ist sie nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Aus § 3 Abs. 1 S. 1 AGG ergibt sich, dass eine unmittelbare Benachteiligung dann gegeben ist, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.
Fall:
Aufgrund einer Betriebsstillegung schied ein Arbeitnehmer mit einem Behinderungsgrad von 70 Prozent aus dem Unternehmen aus. Ein anwendbarer Sozialplan sah Abfindungen für die betroffenen Arbeitnehmer vor. Die entsprechende Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber nahm dabei folgende Unterscheidung vor: Während die Höhe der Abfindung für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer in Abhängigkeit von Betriebszugehörigkeit, Entgelthöhe und Rentennähe errechnet wurde, sollten schwerbehinderte Arbeitnehmer eine pauschale Abfindung erhalten. Die pauschale Abfindung konnte im Einzelfall höher oder niedriger sein als die Abfindung, die sich für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer errechnete. Im Einzelfall hätte der Kläger ohne Behinderung eine Abfindung in Höhe von 65.558 € brutto zu beanspruchen gehabt, als Schwerbehinderter lediglich eine Abfindung in Höhe von 10.000 €. Der Kläger klagte Differenz ein.
Urteil:
Der Arbeitnehmer bekam vom Landesarbeitsgericht Köln im Wesentlichen Recht (teilweise wurde die Klage abgewiesen, weil der entsprechende Differenzbetrag nicht korrekt berechnet wurde). Der Arbeitgeber wurde demnach zur Zahlung des überwiegenden Teils des Restbetrages verurteilt. Wie auch bereits das Arbeitsgericht zuvor, vertrat das Landesarbeitsgericht die Ansicht, dass die Abfindung für den Arbeitnehmer so zu berechnen sei, als sei dieser nicht schwerbehindert.
Das Landesarbeitsgericht:
Eine Sozialplanregelung, welche für schwerbehinderte Arbeitnehmer eine pauschale Abfindung vorsieht, während die Abfindungshöhe nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer in Abhängigkeit von Betriebszugehörigkeit, Entgelthöhe und Rentennähe berechnet wird, ist wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung schwerbehinderter Menschen nach § 7 Abs. 2 iVm. §§ 1, 7 Abs. 1 AGG unwirksam, wenn sie dazu führt, dass die Abfindung für einen wesentlichen Teil der Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer geringer ausfällt als die der nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer mit gleicher Betriebszugehörigkeit und gleichem Alter bei gleicher Entgelthöhe (Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 19. November 2013 – 12 Sa 692/13 –, Leitsatz, juris).
Dadurch dass die Sozialplanregelung teilweise unwirksam ist, kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer nach Meinung des Landesarbeitsgerichts Köln demnach die Zahlung einer Abfindung in der Höhe verlangen, wie sie ein nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer mit gleicher Betriebszugehörigkeit, gleichem Entgelt und gleichem Alter verlangen könnte.
Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen:
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit und eine Abweichung von einer bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelassen. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet über die Revision am 17.11.2015.
Prognose zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:
Ich gehe davon aus, dass das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bestätigen wird.
Das Bundesarbeitsgericht hat in der Vergangenheit Ungleichbehandlungen in Sozialplänen wegen des Alters zwar teilweise als unproblematisch angesehen: Die Betriebsparteien können in Sozialplänen für Arbeitnehmer, die im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf vorzeitige Altersrente haben, geringere Abfindungen vorsehen (BAG, Urteil vom 11. November 2008 – 1 AZR 475/07 –, BAGE 128, 275-287).
Diese Rechtsprechung ist aber nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs jedenfalls bei schwerbehinderten Menschen nicht ohne weiteres anwendbar. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 06. Dezember 2012 – C-152/11, NZA 2012, 1435, klargestellt, dass hinter der Möglichkeit zum früheren Renteneintritt für Schwerbehinderte der sozialpolitische Zweck, die Renteneintrittszeiten an die Bedürfnisse behinderter Menschen anzupassen, steht. Aufgrund dieser besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung kann der daraus resultierende „Vorteil“ beim Vergleich der wirtschaftlichen Lage im Sinne von § 111 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) von schwerbehinderten und nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern nicht zu Lasten der Schwerbehinderten berücksichtigt werden.
Quelle: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 19. November 2013 – 12 Sa 692/13 –, juris